„24“-Star Kiefer Sutherland

 

„Früher hätten mich Fernsehserien nicht interessiert“

 

Mit dem Serien-Hit „24“ startet der US-Schauspieler Kiefer Sutherland, Shooting-Star der achtziger Jahre, in eine neue Karriere. Zum Glück. Sonst würde er vermutlich als Rodeo-Reiter enden.

 

Es gibt verschiedene Fluchtwege aus Hollywood. Arnold Schwarzenegger versucht es gerade als „Gouvernator“. John Travolta setzt sich ans Steuer eines Flugzeugs. Kiefer Sutherland dagegen wählte einer erdigere Tour: Er wurde zum Cowboy.

 

Vor vier Jahren war er ausgebrannt von einer endlosen Serie von Filmen wie „Dark City“ oder „Die drei Musketiere“. Dann wurde auch noch seine jüngste Regiearbeit „Woman Wanted“ ohne seine Einwilligung zusammen gekürzt. Sein letzter Vorrat an Illusionen über die Traumfabrik war aufgebraucht: „Sie ist wie ein erwachsenes Las Vegas. Die Leute lügen dir lächelnd ins Gesicht. Und eines Tages verlierst du.“ Also stand er vom Spieltisch auf. Ein Jahr lang verbrachte er auf seiner Ranch im kalifornischen Santa Ynez und ritt bei professionellen Rodeos mit: „Ich musste mich einfach verändern.“

 

Ganz offenbar klappte der Versuch einer persönlichen Generalüberholung. Denn nach einem weiteren Jahr bekam Sutherland neue Trumpfkarten im Machtpoker von Hollywood. Doch es war kein Kinofilm, sondern eine Fernsehserie, die ihn so populär machte wie selten zuvor in seiner Karriere. Als Agent Jack Bauer im Echtzeit-Thriller „24“ holte er sich 2002 sogar einen der begehrten Golden Globes. So wie für Martin Sheen („West Wing“) oder Sarah Jessica Parker („Sex And The City“) erwies sich auch für Sutherland der Ausflug ins Schachtelkino als kreativer Neuanfang.

 

Dass der 36-Jährige überhaupt diese Chance bekam, widerspricht allerdings der statistischen Wahrscheinlichkeit. Denn Kiefer Sutherlands Karriere war nicht von Plänen, sondern von Instinkten getrieben. Die waren wohl schon in seinem Genmaterial programmiert. Dafür war nicht nur Vater Donald („M.A.S.H.“, „Wenn die Gondeln Trauer tragen“) verantwortlich, der sich vier Jahre nach Kiefers Geburt von der Familie verabschiedete. Als Sutherland Jr. seine Mutter Shirley Douglas in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ auf der Bühne sah, wusste er: „Das möchte ich auch.“

 

Obwohl sich dieser Wunsch eher aus „Phantasie denn Realität“ speiste, verließ er schon mit 16 Elternhaus und Schule, um sich im Showgewerbe durchzuschlagen: „Man hätte mich ins Gefängnis stecken müssen, um mich zu stoppen.“ Bis zu seinem ersten Durchbruch musste er jedoch bis 1984 warten: Für seine Hauptrolle in dem kaum bekannten Adoleszenz-Drama „Bay Boy“ erhielt er den „Genie“, den höchsten kanadischen Filmpreis. Hollywood horchte auf und Sutherland bekam größere US-Parts, etwa als Schlägertyp in Rob Reiners Stephen-King-Schmonzette „Stand By Me“ (1986) oder ein Jahr später als Anführer einer Vampirgang in Joel Schumachers Vampir-Drama „The Lost Boys“. Mit Begeisterung stürzte er sich in den Strudel der Branche: „Ich hatte mehr Spaß als alle. Es gab zu viele Partys, Alkohol und Mädchen.“

 

Da er aber immer schön pünktlich zur Arbeit erschien, kam sein Berufsleben nicht ins Schleudern. Neben Charlie Sheen, Emilio Estevez und Rob Lowe wurde er zu einer der prominentesten Köpfe seiner Schauspieler-Generation. Zwangsläufig war er aus den Youngster-Ensemblefilmen der späten Achtziger und frühen Neunziger wie „Young Guns“ und „Flatliners“ nicht wegzudenken.

 

Nach welchen Prinzipien die Glamour-Maschinerie Hollywoods funktioniert, begriff er spätestens 1990. Die in letzter Sekunde geplatzte Hochzeit mit „Flatliners“-Costar Julia Roberts machte ihn zum Jagdobjekt der Medien: „Es wurden so viele Lügen über mich verbreitet – wenn ich jedes Klatschblatt gelesen hätte, wäre ich wahnsinnig geworden“.

 

Es mag Zufall sein, aber ab Anfang der Neunziger begann auch Sutherlands Erfolgs-Strähne abzureißen. Die Disney-Version der „Drei Musketiere“ (1993), in der er mit Charlie Sheen, Chris O’Donnell und „Flatliners“-Partner Oliver Platt spielte, wirkte wie der Schwanengesang einer Kumpel-Clique. Nicht, dass er um Angebote kämpfen musste, aber die Zeiten, da Sutherland Jr. als Hauptdarsteller selbstverständlich war, gingen zu Ende.

 

Wer aus seiner Generation keinen neuen Rollentyp fand, ging unter wie die heute fast schon Vergessenen Emilio Estevez oder Lou Diamond Phillips. Charlie Sheen sicherte sich immerhin eine Nische als Komödien-Darsteller („Hot Shots“), bevor er mit Drogen- und Frauengeschichten in den Schlagzeilen landete. Sutherland kultivierte indes seine aggressive Ausstrahlung. Hatte er damit früher immer wieder mal den Bösewicht abgegeben, so fand er sich plötzlich in großen Hollywood-Produktionen wie „Die Jury“ oder „Auge für Auge“ fast nur noch auf diese Kategorie festgelegt. Doch er hatte nichts dagegen. In seiner Regiearbeit „Truth or Consequences N.M.“ von 1997 inszenierte er sich letztlich selbst als durchgeknallten Verbrecher.

 

Das änderte freilich nichts daran, dass Filme mit Kiefer Sutherland immer seltener ihren Weg in die Kinos fanden. Die Kontroverse um den Endschnitt von „Woman Wanted“ war wohl nur der Auslöser, aber nicht der Grund für sein Cowboy-Sabbatical. Seit dieser Zeit scheint Sutherland experimentierfreudiger geworden zu sein. In der deutschen Co-Produktion „Paradise Found“ ist er als Maler Paul Gauguin zu sehen, für „Phone Booth“ sprang er mit seiner markanten Stimme in der Sprechrolle des mysteriösen Anrufers und Scharfschützen ein, nachdem der ursprüngliche Kandidat nicht bedrohlich genug geklungen hatte. Auch mit „24“ betrat er persönliches Neuland: „Früher hätten mich Fernsehserien nicht interessiert.“

 

Nach dem enormen Erfolg der Serie, deren dritte Staffel gerade gedreht wird, „erlaubt ihm Hollywood einen neuen Anlauf auf eine Kinokarriere“, wie es das Branchenblatt „Variety“ formuliert. Im Serienmörder-Thriller „Taking Lives“ spielt Sutherland neben Angelina Jolie und Ethan Hawke einen Verdächtigen. Aber offenbar nicht den Täter. Der „24“-Star nimmt diese neue berufliche Entwicklung von der lockeren Seite: „In meinen Zwanzigern war alles ganz dramatisch. Jetzt möchte ich bloß noch ein paar Sachen über mich selbst herausfinden. Eines Tages will ich über mein Leben sagen können: Es war nicht langweilig. Und vieles davon bringt mich zum Lachen.“

 

            SPIEGEL ONLINE – 12.09.2003

von Rüdiger Sturm

 

      

© Maggi März 2004/Der Text wurde mit ganz herzlichem Dank von Sabine zur Verfügung gestellt.